„Das soll die Rotzgöre doch lieber den Profis überlassen …“ – so lautete sinngemäß ein Tweet eines deutschen Politikers über Greta Thunberg, mit dem dieser die Führungsansprüche in der Klimadiskussionen klarstellen wollte. „Kinder wollen uns Erwachsenen oder gar uns politischen Profis sagen, wo es lang geht?“ – das geht ja gar nicht … „Sollen die erst einmal die Schule erfolgreich absolvieren!“
Prima Klima also an der Debattenfront. Und ein schönes Beispiel dafür, was in Unternehmen, ich denke, Sie werden das Problem auch aus Ihrem Unternehmen kennen, hinsichtlich der Führungsansprüche falsch läuft.
Das Zementieren der Führungsansprüche und der Stillstand
Die Führungsansprüche von Führungskräften in den Unternehmen und Organisationen (also auch in der Politik) sind nach wie vor hoch. Obwohl immer mehr Entscheider einsehen, dass der Weg in die Zukunft ohne breite Partizipation aller Betroffenen nicht erfolgreich absolviert werden kann. Nicht erfolgreich, weil die sich rasch verändernden Märkte und Anforderungen durch technologische Neuerungen (Stichworte Globalisierung und Digitalisierung) die Möglichkeiten eines einzelnen Menschen in einem Unternehmen übersteigt. Weil Lösungen für die Probleme der Zukunft nur gemeinsam erdacht und erarbeitet werden können. Weil die Zeit der einsamen Entscheidungen und alleinigen Verantwortung à la „der da oben“ vorbei geht.
Und das liegt nicht an Rotzgören und Rotzlöffeln, die die väterliche und mütterliche Autorität der Erwachsenen nicht anerkennen. Sondern daran, dass das Zementieren von Führungsansprüchen zum Stillstand führt, und dieser Stillstand Misserfolge und einen anwachsenden Problemberg nach sich zieht, wie sich überall bereits heute zeigt.
Weltbild in Stein gemeißelt
Aber wenn mehr Entscheider einsehen, dass der Weg in die Zukunft ohne Dezentralisierung und selbstorganisierte Mitarbeiter nicht erfolgreich gegangen werden kann, warum funktioniert das Abgeben von Verantwortung so häufig in der Praxis nicht?
Weil sie im Prinzip ihre Mitarbeiter so sehen, wie obiger Politiker (und alle, die seinen Tweet geliket haben) Greta Thunberg und alle Schüler, die für eine bessere Zukunft kämpfen. Sie halten sie nicht für reif, nicht für fähig genug. Sie sprechen ihrem Mitarbeiter das Können und die Kompetenz ab, autonom im Sinne des Unternehmenserfolges zu arbeiten.
Kurz: Sie vertrauen den Mitarbeitern nicht.
Und dieses mangelnde Vertrauen liegt nicht an mangelnder Einsicht in die Notwendigkeit den Mitarbeitern vertrauen zu müssen. Sondern an den Weltbildern und Glaubenssätzen der Führungskräfte, die wie in Stein gemeißelt eine Wahrheit abbilden, die ihre Emotionen und damit ihr Verhalten lenken.
Auf einer ganz emotionalen und tief in ihrer Persönlichkeit verankerten Ebene infantilisieren sie ihre Mitarbeiter, machen sie klein. Und mögen sie vom Kopf her auch anders sprechen, den Teamgedanken, das Teilen von Verantwortung auch in Richtlinien für Mitbestimmung etc. festlegen, entsteht dennoch lähmender, für den Unternehmenserfolg gefährlicher Stillstand.
Von Hirten und Schafen
Mitarbeiter spüren, dass die Führungskräfte ihnen nicht vertrauen – und so bleiben sie in den Unternehmen inaktiv, unter ihren Möglichkeiten.
Die Struktur einer Organisation, in der sich der gute Hirte um die Schafe kümmert und glaubt zu wissen, was gut ist (und Schafe sich führen lassen, weil sie keinen eigenen Willen und keine eigene Ideen haben und deswegen alles mit sich machen) bleibt unverändert – und führt letztlich zur oben skizzierten verbalen Katastrophe. Es sei denn …
Es sei denn, Führungskräfte und Mitarbeiter ändern ihr Weltbild, in dem Führungskräfte eben gut darin sind zu entscheiden und Mitarbeiter vorgedachte Lösungen umzusetzen. Indem Mitarbeiter angetrieben werden müssen, weil sie sonst faul in der Ecke sitzen würden. In der sie mit Geld belohnt werden, wenn sie besondere Leistungen erbringen sollen. Ein Weltbild, in dem jeglicher Gedanke, Führungskräfte und Mitarbeiter seien auf Augenhöhe absurd anmutet. Führungskräfte müssen ihre tradierten Führungsansprüche aufgeben und ein echtes Angebot machen. Einsehen, dass es nicht mehr darum geht, Rollenbildern gerecht zu werden und in Stein gemeißelten Glaubenssätzen zu folgen, sondern angesichts zunehmender Probleme aktueller Organisationsstrukturen alles in Frage stellen müssen, um herauszufinden, was sich ändern muss. Dies erfordert Mut. Denn das Aufgeben von Glaubenssätzen ist immer auch mit Ängsten verbunden.
Aber das ist der Weg, den echte Führung gehen sollte, ob in Unternehmen oder in der Politik. Es geht vielmehr um echte Teilhabe und Teilgebe, die sich aus der Erkenntnis speist, dass komplexe Aufgaben nur mit komplexer Kommunikation und Zusammenarbeit erfolgreich gelöst werden können. Ein Miteinander auf Augenhöhe – auch mit „Rotzgören“. Denn nur so ist der Weg in die Zukunft erfolgreich gestaltbar.